In Gelsenkirchen versammelt sich ein Mob vor der Synagoge und brüllt zwei Stunden lang „Scheißjuden“, während die Polizei tatenlos zuschaut. Das ist unfassbar. Denn Antisemitismus bedeutet eine Gefahr für alle Menschen, für den Humanismus – und für unsere Demokratie.
Ich bin enttäuscht und wütend über das teilweise Versagen von Staatsorganen und die mangelnde Solidarität von Bürgern mit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland angesichts offener antisemitischer und israelfeindlicher Aktionen, die die kriegerischen Aktionen in Nahost begleiten.
Wenn eine Horde von 180 Burschen sich im Zentrum Gelsenkirchens zu einer nicht genehmigten Kundgebung zusammenrottet, zwei Stunden lang „Scheißjuden!“ und ähnliche Parolen brüllt, die Polizei daneben steht und nichts dagegen unternimmt, bedeutet dies ein Versagen des Staates und seiner Sicherheitskräfte. Auch wenn sich die Polizei darauf beschränkt hat, die Synagoge zu schützen. Das ist zu wenig! In Deutschland dürfen antisemitische Aktionen nicht toleriert werden. Unter keinen Vorwänden. Das immerhin sollte man aus der Vergangenheit gelernt haben.
Bankrott staatlicher Autorität
Der nordrhein-westfälische Innenminister Reul versuchte diesen Bankrott staatlicher Autorität gegenüber der ARD damit zu erklären, dass die Stärke der Einsatzkräfte nicht dazu ausgereicht habe, die Personalien des Antisemiten-Haufens festzustellen oder gar die Kundgebung aufzulösen. Dieses Eingeständnis der mangelnden, ja der fehlenden Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Organe muss alle Bürger, keineswegs nur Juden, besorgt machen.
In letzter Instanz Verantwortung für Nordrhein-Westfalen und die Sicherheit seiner Bewohner trägt Ministerpräsident Armin Laschet, der sich anschickt, als CDU-Spitzenkandidat nächster Bundeskanzler zu werden. Laschets Solidarität mit den jüdischen Bürgern und seine Verbundenheit mit Israel sind bekannt. Aber das alleine reichte offenbar nicht überall aus.
Auch der Zustand der Polizei gibt Anlass zur Besorgnis. Sie erwies sich als unfähig, eine Hundertschaft Personal zusammenzuziehen, um eine öffentliche judenfeindliche Versammlung aufzulösen und die Identität von deren Teilnehmern festzuhalten. Über welche Kommunikationsmittel verfügt diese Polizei? Hat es sich bei ihr schon herumgesprochen, dass man notfalls per Mobiltelefon Kollegen mobilisieren kann? Oder, was wahrscheinlicher ist, wollte man sich keinen Ärger mit den Antisemiten einhandeln – und ließ sie daher gewähren? weiter