„Ein Journalist erwirbt das Vertrauen eines Menschen, um es dann zu missbrauchen.“
Das hat mir einst ein Funktionär des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) gesagt. Er sagte es öfter, aber er war geschickt genug, das unter vier Augen zu tun. Also kann ich das Zitat nur ohne konkretere Quellenangabe verwenden, man wird so leicht verklagt heutzutage.
Das Zitat bildet inhaltlich durchaus eine relevante Wirklichkeit ab, das hat sich gerade in Berlin gezeigt. Dort hat, ungewöhnlich genug, ein Journalist der Süddeutschen Zeitung (SZ) einen Kollegen um ein Interview gebeten. Beide kennen sich seit 15 Jahren, auch privat, waren zusammen sogar schon einmal in der Sauna. Da geht man ja auch nicht mit jedem hin.
Kurz vor dem Treffen ruft der SZ-Mann an: Ob er noch jemanden aus seiner Redaktion mitbringen dürfe. Zwei gegen einen also. Der Interviewpartner ist ein höflicher Mann, darauf zählen die SZ-Leute: Er stimmt zu. Er geht – was in dieser Konstellation fraglos angebracht gewesen wäre – selbst dann nicht sofort wieder, als sein alter Kollege einen ganz anderen als den angekündigten SZ-Menschen zum Interview mitbringt.
Wir werden fair sein, sagen sie.
Im Ergebnis schreiben die beiden SZ-Männer mithilfe von noch einem weiteren dann einen Artikel, den man auch bei nüchterner Betrachtung kaum anders denn als Rufmordversuch lesen kann.
Es fällt einem die DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld ein. Wie mag sie sich wohl gefühlt haben, als sie nach der Wende in ihrer Stasi-Akte lesen musste, dass sie jahrelang von ihrem eigenen Ehemann bespitzelt worden war? „Ein Journalist erwirbt das Vertrauen eines Menschen, um es dann zu missbrauchen.“ Der Mann, den die Süddeutsche Zeitung jetzt zu vernichten versucht, ist Boris Reitschuster.
Aber auch Denunzianten sind nicht mehr das, was sie mal waren.
Die Recherche hat viele Fehler. Einfachste Dinge werden verwechselt: Überschriften mit Intros, Gastbeiträge auf Reitschusters Internetportal mit Reitschusters eigenen Texten. Anfängerfehler. Ein Zitat, das ihm zur Autorisierung vorgelegt wurde, wird nachträglich gekürzt. Unsauber, sehr sogar.
Auch substanziell hapert es, der Text enthält schlichte Falschbehauptungen. Er habe nach offiziellen Pressekonferenzen zwar nicht geheime, aber persönliche Gespräche von anderen Journalisten mit Regierungssprechern „gefilmt“, heißt es. Tatsächlich hat Reitschuster diese Szenen ausschließlich fotografiert. Das ist ein gewaltiger Unterschied: Genau solche Fotos, erstens, werden standardmäßig von Dutzenden Fotografen gemacht. Reitschuster tat also – anders, als die SZ es ihren Lesern weismachen will – nichts anderes als alle anderen auch. Und Fotos, zweitens, haben keinen Ton. Anders als bei Videos können also keine vertraulichen Gesprächsinhalte ungewollt offenbart werden.
„Gegendarstellungsfähig“ heißt so etwas im Presserecht. In der Regel ist es ein Merkmal für unterirdisch schlechtes Handwerk.
Ergänzt wird das durch eine geradezu lustige Selbstentlarvung.
Man wirft Reitschuster vor, von einem Leser, den er auf einer Demonstration getroffen hatte, 20 (in Worten: zwanzig) Euro für sein Portal angenommen zu haben. Er lasse sich „von Leuten Geld geben, über die er berichtet“, schreiben die SZ-Inquisitoren.
Den Herren muss irgendwie entgangen sein, dass sie selbst ihr Gehalt nur deshalb bekommen, weil ihre Zeitung sich über Werbung finanziert. Und natürlich nimmt die SZ gerne auch Anzeigen von Unternehmen, über die in der SZ berichtet wird. Das muss die Zeitung auch, sonst wäre sie schnell pleite – sehr schnell, denn die Texte hinter der Bezahlschranke wollen nicht ansatzweise genügend Menschen lesen, als dass man mit den Einnahmen der Paywall die Verursacher der Texte unterhalten könnte.
Warum bloß?
Die Süddeutsche braucht also Geld: weil die SZ-Leser vom Produkt nicht so begeistert sind, dass sie dafür genug bezahlen würden, um die komfortablen Gehälter und Honorare der SZ-Autoren zu refinanzieren; und weil auch das Anzeigengeschäft angesichts ständig rückläufiger Verkaufszahlen nicht gerade brummt. weiter
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