
Je unbegreiflicher ein Verbrechen, desto wahrscheinlicher wird es politisch instrumentalisiert. Die Reaktionen auf den Mord an Kindern in einer Grundschule in Uvalde, Texas, weicht aber in vielen Details vom eigeübten Schuldzuweisungsbingo ab. Anders als noch kurz zuvor bei einem vergleichbaren Fall in Buffalo, wo als Motiv sehr schnell der offensichtliche Rassismus des Täters als ursächlich bezeichnet wurde, waren Medien und Politik scheinbar ratlos, was die Motivation des aktuellen Schützen angeht. Schließlich passte der Täter nicht in die üblichen Schablonen des Rassismus. Seine Opfer waren zwar Latinos, er selbst jedoch auch. Es gab auch keine wirren Manifeste, die der pathologischen Einordnung helfen könnten. Die Ratlosigkeit in Politik und Medien währte nur kurz, denn mit Wucht stürzte man sich fast sofort auf die „Waffenlobby“, die, einflussreich und mächtig und natürlich von den Republikanern gedeckt, die Opfer zu verantworten habe.
„Wenn die USA jetzt endlich vernünftige Beschränkungen für Schusswaffen einführen, könnten wir in Deutschland doch endlich ein vernünftiges allgemeines Tempolimit bekommen, oder?“ spekulierte etwa der Klimaprofessor Stefan Rahmstorf. Im Ungefähren bleibend, wie es seine Art ist, blieb Rahmstorf auch hier die Erklärung schuldig, wie eine „vernünftige Beschränkung“ aussehen mag. Vermutlich hat es aber irgend etwas mit CO2 zu tun, sonst würde er Waffenrecht ja nicht mit Tempolimit zusammenrühren.
Dunja Hayali zeigt gleich mit dem Finger auf Greg Abbott, den Gouverneur von Texas und klagt an: „Das ist der Mann, der das Recht auf Waffenbesitz mit Freiheit/Selbstbestimmung begründet, während er diese Argumente Frauen, die abtreiben wollen, verwehrt“. Die Gerichtshöfe der Moral kennen bekanntlich keine Geschäftsordnung und nehmen es auch mit der Wahrheit nicht so genau. Denn die Begründung für das Recht auf Waffenbesitz findet Abbott in der zweiten Verfassungszusatz, er muss ihn nicht begründen. Außerdem „verwehrt“ Texas Abtreibungen nicht, sondern hat eine Fristenregelung eingeführt, die der in Deutschland nicht unähnlich ist.