von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 6. Oktober 2020
Es gibt kein Vertrauen mehr zwischen der Bevölkerung und der Regierung beim Kampf gegen das Corona-Virus. Die chaotischen Verhältnisse führen zu massenhaften Ansteckungen, während die Polizei keine klare Anweisungen erhalten hat, die beschlossenen Regeln durchzusetzen.
So kam es in Aschdod beim Begräbnis des führenden Rabbi Admor von Pittsburgh zu einer Massenveranstaltung mit Tausenden Teilnehmern, die keine Distanz halten konnten und kaum Masken trugen. Eigentlich hätte die Polizei eingreifen und das Begräbnis stoppen müssen, doch dann wäre es zu gefährlichen Zusammenstößen gekommen.
In letzter Zeit häufen sich Zwischenfälle mit Verantwortlichen, die in der Regierung oder im Parlament die Regeln verordnen, sich aber selber nicht daran halten. Dem Staatspräsidenten und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird vorgeworfen, am Pessach-Fest die Kinder zum Festessen eingeladen zu haben, obgleich sie erwachsen sind und nicht ständige Bewohner der beiden Residenzen sind. Das war der allgemeinen Bevölkerung streng verboten worden, damit die Familienangehörigen sich nicht anstecken.
Inzwischen mehren sich solche Fälle. Große Schlagzeilen machte die Umweltministerin Gila Gamliel. Sie wohnt in Tel Aviv, ist aber für das Laubhüttenfest 150 Kilometer weit nach Tiberias am See Genezareth gefahren. Dort leitet ihr Schwiegervater eine Synagoge, in der sie beten wollte. Doch die Regeln sehen vor, dass man sich nicht weiter als einen Kilometer von der eigenen Wohnungstür bewegen dürfe. Einen ähnlichen Fehler beging ein Abgeordneter, der sogar Mitglied der Corona-Kommission ist. Der wurde auf der Stelle entlassen, während Gamliel sich für ihre „Fehleinschätzung“ lediglich entschuldigte. Dem Ruf, zurückzutreten, folgte sie bisher nicht.
Wenn sich selbst die Verantwortlichen nicht an die von ihnen aufgestellten Regeln halten, schwindet zunehmend die Disziplin und Folgsamkeit bei der Bevölkerung. Das ist der Hauptgrund für die in Israel verzeichneten Rekordzahlen bei den Infektionen, sodass den Krankhäusern zunehmend der Zusammenbruch droht, mangels Betten und ausgebildetem Personal.
Zu den Krankheitsfällen kommen die zunehmend beschwerlichen Sperren hinzu. Es gibt keinen einzigen Touristen im Land, weil die Flugverbindungen immer noch nicht erneuert wurden. Restaurants und Pubs bleiben geschlossen. Das Kulturleben ist faktisch abgeschaltet worden. Und niemand hat bisher ein Patent gefunden, bei einer Million Arbeitslosen oder Angestellte im „bezahlten Urlaub“ die Wirtschaft wieder zu öffnen und anzukurbeln.
Auch um nicht eines weiteren „Scheiterns“ beschuldigt zu werden, wagt die Regierung nicht, die Sperren zu lockern.
(C) Ulrich W. Sahm
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