Bolsonaro, der neue Präsident Brasiliens, von westlichen Medien schlicht als „Ungeheuer“ tituliert, wer ist das überhaupt? Das Linke ein Problem mit ihm haben, war abzusehen. Zudem hat er angekündigt, die Botschafft seine Landes nach Jerusalem zu verlegen – siehe hier . Die Antifa reagiert in Deutschland bereits wie man es von ihr gewohnt ist – siehe hier Doch wer ist dieser Bolsonaro denn nun?
Zeitenwende in Brasilien
Mit dem Jahreswechsel übernimmt die Regierung von Jair Bolsonaro in Brasilien die Macht. Glaubt man den Mainstream-Medien, steht eine Tyrannei bevor. Doch mittlerweile setzen 75 Prozent der Brasilianer grosse Hoffnungen auf den Ex-Militär. Dafür gibt es gute Gründe.
Wer die Wahlen in Brasilien über die Mainstream-Medien verfolgt hat, dürfte eine düstere, wenn nicht apokalyptische Vorstellung von der Zukunft des Landes haben. Brasilien steht neuerdings nicht mehr für Fussball und Karneval, Caipirinha und Samba. Glaubt man den Berichten, haben sich 55,13 Prozent der Brasilianer für eine brutale Diktatur entschieden, als sie Jair Bolsonaro zu ihrem Präsidenten wählten – ein Regime, das möglicherweise die Sklaverei neu aufleben lässt, Schwule auf öffentlichen Plätzen auspeitscht und, wer weiss, den Frauen das Autofahren verbietet. Das ist doch erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Frauen, Farbige und Homosexuelle zusammen die überwiegende Mehrheit der brasilianischen Wähler stellen. Sind sie etwa alle zu dumm, um zu erkennen, was für sie schlecht ist?
Noch schockierender für einen Europäer oder Amerikaner mag sein, dass auch einer, der sein Brot mit geistiger Arbeit verdient, deutsche Literatur studiert, ein populäres Radioprogramm und einen erfolgreichen Blog betreibt, Bolsonaro gewählt hat. Ja, ich gestehe: Ich habe es getan, und, quel horreur, nicht faute de mieux, sondern mit Überzeugung. Auf meinem Medienportal Senso Incomum habe ich bereits vor zwei Jahren, als Bolsonaro gerade mal 6 Prozent der Sympathien auf sich vereinigen konnte, auf ihn gesetzt.
Verfüge ich über prophetische Fähigkeiten? Nein. Es brauchte bloss etwas gesunden Menschenverstand. Meine Technik war einfach: Ich habe einfach ignoriert, was in den etablierten Medien kommentiert wurde. Es war wie zwei Jahre zuvor in den USA bei der Wahl des «orangefarbenen Monsters» Donald Trump. Auch wenn Bolsonaro nicht Trump ist und Brasilien nicht die USA.
Bilanz moralischer Verwahrlosung
Diese Wahl war nicht einfach eine zufällige Panne. Was in den jeweils grössten Ländern und mächtigsten Volkswirtschaften der nördlichen und südlichen Hemisphäre geschehen ist, ist eine Zeitenwende, deren Folgen wir erst erahnen können. Dazu muss man wissen: Brasilien hat eine sehr starke linke Tradition. Marxismus – ja, richtig, Marxismus, nicht soziale Marktwirtschaft – wird hier in Schulen und Hochschulen nach wie vor als ultramoderne und ultimative Wahrheit gelehrt. Der paternalistische Staat, der seine Bürger zu neuen Menschen formt, ist Teil der Lehre. Die politische Landschaft ist etwas gemässigter, hier gibt es neben den Kommunisten immerhin noch Sozialdemokraten. Eine konservativ-liberale Bewegung jedoch existierte bislang nicht in Brasilien, auch nicht während der Militärdiktatur, welche die Macht 1985 nach 21 Jahren abtreten musste.
In Brasilien herrscht ein breiter Konsens darüber, dass die konstitutionelle Demokratie der richtige Weg ist. Lateinamerika gilt zwar generell als Pulverfass, über dem stets das Damoklesschwert der Caudillos hängt. Für einige Länder mag das zutreffen. Aber Brasilien hat sich doch merklich zivilisiert. Seit 1989 herrschen hier stabile Verhältnisse, die auch gröbere Turbulenzen überstanden haben. Die Zeiten, in denen selbstherrliche Uniformierte beliebig Menschen einsperren konnten, sind vorbei. Vielmehr haben Beschuldigte heute vielfältige Rechte, im Zweifel werden auch Schwerverbrecher freigelassen. Und das ist zu einem grossen Problem geworden.
Dieses Problem lässt sich in Zahlen fassen. 2016 wurden in Brasilien 62 000 Menschen ermordet. Das ist eine dreissig Mal höhere Mordrate als in Europa. In einem Jahrzehnt wurden 553 000 Menschen getötet. Das sind mehr Todesopfer, als der Syrienkrieg gefordert hat. Es entspricht etwa der Zahl der im Zweiten Weltkrieg gefallenen britischen (264 000) und amerikanischen (292 000) Soldaten – in Friedenszeiten notabene! Vergewaltigungen, Gewaltattacken oder Entführungen sind in dieser Horrorbilanz nicht inbegriffen. Gangster strecken ihre Opfer nieder, selbst wenn diese sich ergeben haben – einfach, weil sie gerade schlechter Laune sind oder weil damit ein lästiger Zeuge aus der Welt geschafft wird. Es ist eine erschreckende Bilanz moralischer Verwahrlosung, aber auch der Straflosigkeit. Die Gangster wissen, dass ihnen nichts passiert.
Nun mögen Sie einwenden, die Kriminalität sei ein soziales Problem. Doch die Formel, gemäss der Arme automatisch kriminell sind, ist falsch. Brasilien wird seit 2003 von Sozialisten regiert, die dem Land mit ihren Sozialprogrammen einen riesigen Schuldenberg aufgebürdet haben. Die Kriminalität ging nicht zurück, im Gegenteil, sie explodierte. 2005 setzte die Regierung Lula – obwohl die Bevölkerung in einem Referendum dagegen gestimmt hatte – ein rigides Waffenverbot durch. Die Gangster freuten sich über die Entwaffnung der Ehrlichen. Sie hatten nun freie Bahn.
Das andere grosse Wahlversprechen der Arbeiterpartei von Lula und Rousseff war der Kampf gegen die Korruption. Die dreizehn Jahre Sozialismus brachten das Gegenteil. Schon die Sozialprogramme waren im Grunde nichts anderes als ein verkapptes System des Stimmenkaufs. Diese Günstlingswirtschaft durchdrang und prägte alles – die Medien, die Universitäten und Institutionen bis hinauf zum Kongress. Die Korruption ist ein Grundübel in ganz Lateinamerika, doch selten trieb es derart wilde Blüten wie in Brasilien. Mit dem «Petrolão» schuf Lulas Arbeiterpartei in Kooperation mit der sozialistischen Diktatur im benachbarten Venezuela einen Schmiergeldapparat, der mutmasslich Hunderte von Millionen Dollar in die Kassen der Arbeiterpartei spülte.
Auch wenn die Justiz bislang bloss die Spitze des Eisbergs aufgedeckt hat, der Druck von der Strasse wurde überwältigend. Man musste blind sein, um die verheerende Realität hinter der sozialistischen Illusion zu verkennen. Die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff und die Inhaftierung des vermeintlichen intouchable, des Ex-Präsidenten Lula, markierten den Anfang einer neuen Ära.
Wird Jair Bolsonaro das Chaos richten? Er mag als verrückter Politiker erscheinen. Doch Bolsonaro ist einer der wenigen, die seit zwanzig Jahren im Kongress unbeirrt gegen die Linke anrennen – in einem Land, in dem Lulas Rezepte über alle Parteien hinweg sehr populär waren. Das zeugt von Mut, aber auch von Weitsicht. Bolsonaro kümmerte sich lange ziemlich einsam um das, was viele Menschen in diesem Land schon lange beschäftigt. Neben der Kriminalität ist es vor allem eine miserable und heillos verideologisierte Bildung.
Fleischfresser und Vegetarier
Wenn Bolsonaro das Militärregime verteidigte, dann nicht, weil er für eine Diktatur ist. Das brasilianische Militärregime war eine Reaktion auf die kommunistische Bedrohung der 1960er und 1970er Jahre, und diese war real. Die Verbrechen der von Kuba befeuerten Guerillas – in Europa nannte man weitaus harmlosere Organisationen Terroristen – werden von der Geschichtsschreibung und in den Schulen systematisch unterschlagen. Trotzdem haben heute die meisten brasilianischen Wähler mehr Angst vor den Verbrechern als vor den Militärs.
Es ist üblich, wie der peruanische Nobelpreisträger Mario Vargas-Llosa einmal bemerkte, die lateinamerikanische Linke in «Fleischfresser» (wie Hugo Chávez) und «Vegetarier» (wie Lula) zu unterteilen. In Tat und Wahrheit ist diese Unterscheidung zwischen Diktatoren und Demokraten nicht so einfach. Auch Chávez und Maduro liessen sich in Venezuela wählen und veranstalteten Referenden. Gefrässig sind sie alle. Wenn es um korrupte Geschäfte geht, lösen sich die Grenzen zwischen den Vegetariern und den Fleischfressern vollends auf. Ob in Gaddafis Libyen, in Guinea-Bissau oder Angola – auf die Petrodollar-Achse zwischen Kuba, Venezuela und Brasilien war stets Verlass.
Mises statt Marx
Lateinamerikanische Militärs geniessen in der Welt nicht den besten Ruf. Man könnte sich nun auslassen über ein paar deftige Sprüche, die Jair Bolsonaro in seinen 63 Lebensjahren schon abgesondert hat und die von den Mainstream-Medien im Wahlkampf aus dem Zusammenhang gerissen, zum Teil fantasievoll ausgeschmückt und in einer Art Endlosschlaufe bis zum Überdruss wiederholt wurden. Bolsonaro tat ihnen den Gefallen nicht, sich zu rechtfertigen, er ging vielmehr in die Gegenoffensive und setzte gleich noch einen drauf. Diesen theatralischen, klischeehaften und hyperbolischen Reflex hat der libanesische Schriftsteller Nassim Nicholas Taleb einmal treffend «antifragile» genannt.
Bolsonaro gehört zu jenem Schlag von Menschen, die stärker werden, je mehr sie angegriffen werden. Und wenn die Mainstream-Medien nur über ihn berichteten, um ihn schlecht zu machen, so berichteten sie wenigstens. Die ewig gleiche Leier über die angeblich bösen Militärs – anders als andere Diktaturen Lateinamerikas ging das brasilianische Militärregime in Wahrheit fast nur gegen die Guerillas mit Gewalt vor – ermüdete viele, genauso wie die volkspädagogischen Belehrungen über Transphobie, das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen oder Sprüche über Homosexuelle. Bolsonaro zwang die Medien aber auch, über Probleme zu diskutieren – wie eben die grassierende Kriminalität, den deplorablen Zustand der Bildung oder den Zerfall moralischer Werte –, welche die meisten Menschen wirklich beschäftigen. Sie wissen genau, dass ein Ex-Militär, der mal einen deplatzierten Kasernenspruch fallenlässt, keine Bedrohung für sie ist.
Als junger Akademiker, der schon mal das Plakat «Less Marx, more Mises» – aus der Sicht unserer Professoren ein Akt der Blasphemie an der Grenze zur Pornografie – in der Aula aufhängte, habe auch ich andere Sorgen. Ich gehöre einer wachsenden Generation von Studenten an, die sich an Ökonomen der öster-reichischen Schule, insbesondere Mises und Hayek, orientieren. An der Pazifikküste Südamerikas – in Chile, Peru und Kolumbien – gibt es seit den 1990er Jahren schon erfolgreiche Modelle, die in diese Richtung gehen. Doch für Brasilien, der mit Abstand grössten Volkswirtschaft der südlichen Hemisphäre, ist es etwas Neues, Revolutionäres. Die grosse Frage ist: Wird Bolsonaro eine liberale Wende in diesem riesigen Land schaffen? Es wäre eine Art tektonische Verschiebung mit Folgen für ganz Lateinamerika, ein herkulischer Akt.
Allianzen für die Durststrecke
Jair Bolsonaro lebt, anders als uns die Mainstream-Presse glauben machen will, nicht in einer intellektuellen Wüste. Seine Leitfigur ist der brasilianische Philosoph Olavo de Carvalho. Eurozentrische Intellektuelle mögen ihn belächeln und verspotten, doch das perlt an ihm ab. Dass er sich nie von den etablierten Eliten beeindrucken liess, ist gerade die Stärke von Olavo de Carvalho. Sein konservativ-liberales Denken orientiert sich an der brasilianischen Realität, es richtet sich an die Brasilianer. De Carvalho hat Autoren und Ideen in die öffentliche Debatte eingebracht, an die hier zuvor nicht einmal gedacht wurde.
Entscheidend für eine Standortbestimmung der Regierung Bolsonaro ist sein Team. Erwähnenswert sind der Bildungsminister Ricardo Vélez-Rodríguez, ein kolumbianischer Professor und Philosoph, und der Aussenminister Ernesto Araújo. Beide sind stark von Olavo de Carvalho beeinflusst: Rodríguez im Kampf gegen die marxistische Indoktrination in den Schulen, Araújo im Kampf gegen das, was die Amerikaner «Globalismus» nennen. Gemeint ist damit nicht die wirtschaftliche Globalisierung, sondern überstaatliche Konglomerate von nicht gewählten und bürokratischen Organismen, welche die Welt regieren wollen. International ist von Brasilien eine – nicht zuletzt auch israelfreundliche – Politik zu erwarten, die sich in etwa mit jener der Trump-Administration decken wird.
Innenpolitisch dürfte der designierte Justizminister Sérgio Moro eine entscheidende Rolle spielen. Moro leitete in erster Instanz die Prozesse um die Operation «Lava Jato», die brasilianische Version von «Mani pulite». Die grossangelegte Justizaktion gegen den Korruptionsfilz auf höchster Ebene hat nach einem Jahrhundert faktischer Rechts- und Straflosigkeit eine Reihe brasilianischer Politiker hinter Gitter gebracht und die politische Landschaft kräftig aufgemischt. Moro war es denn auch, der Lula zur Strecke gebracht hatte. Er verschaffte damit einem für viele Brasilianer völlig neuartigen Prinzip Nachachtung: Selbst ein Präsident ist Gesetzen unterworfen!
Eine Schlüsselfigur von Jair Bolsonaro ist schliesslich der Wirtschaftsminister Paulo Guedes. Der ehemalige Student von Milton Friedman, der in Chicago studiert hat, war vom Anfang des Wahlkampfes an eine prominente Figur des Bolsonaro-Teams. Die Nomination von Guedes ist eine eindeutige Botschaft an die Wirtschaft: Brasilien setzt auf freien Markt und Privatisierung. Die Börsen reagierten mit Euphorie auf Bolsonaros Wahl.
Hier liegt allerdings auch die grösste Herausforderung. Die herrschenden Wirtschaftseliten ebenso wie die Gewerkschaften haben es sich über Jahrzehnte in einem System bequem gemacht, das ihnen den Wettbewerb vom Leib hält und fette Pfründe garantiert. Das brasilianische Arbeitsrecht ist eine Kopie von Mussolinis «Carta del Lavoro». Es gibt viele, die sich mit Klauen und Zähnen an diese Privilegien klammern werden. Ungleich viel mehr Menschen würden jedoch von einer Liberalisierung profitieren. Doch das geht nicht von einem Tag auf den andern. Diese Durststrecke zu überwinden, ist nicht so einfach in einem Land ohne liberale Tradition.
Um Reformen umzusetzen, braucht es Mehrheiten im Parlament. Die brasilianische Parteienlandschaft ist atomisiert. Mit 11,7 Prozent holte Bolsonaros «Partido Social Liberal» zwar knapp vor Lulas Arbeiterpartei (10,3 Prozent) den höchsten Stimmenanteil, aber nicht einmal die grösste Zahl der Sitze im Repräsentantenhaus. Die Frage ist also, ob es der Regierungspartei gelingt, die nötigen Allianzen zu schmieden. Doch der Kongress hat heute eine ganz andere Dynamik als unter Lulas Zeiten. Die Amtsenthebung von Dilma Rousseff dauerte zwei Jahre, aber am Ende wurde sie auch von ihren eigenen Leuten gestürzt. Mit den letzten Wahlen wurde das Repräsentantenhaus zu 52 Prozent erneuert, der Senat sogar zu 85 Prozent.
Zwei Alphatiere
Die Rechtsanwältin Janaína Paschoal, Autorin der Amtsenthebungsklage gegen Dilma Rousseff, erhielt als Abgeordnete mit zwei Millionen Stimmen das beste Wahlresultat in der Geschichte des Landes. Der Wunsch nach Reformen ist gross, die Einsicht, dass es im bisherigen Stil nicht weitergehen kann, erscheint mehrheitsfähig. Bolsonaro steigerte seine Zustimmung gemäss einer Umfrage des renommierten Institutes Ibope im Dezember auf 75 Prozent. Eine Polarisierung in zwei etwa gleich starke Blöcke, wie sie in den USA nach Trumps Wahl stattgefunden hat, gibt es in Brasilien nicht.
Entscheidend wird sein, ob die Regierung diesen Schwung aus den Wahlen ausnützen und die Reformen sofort aufgleisen kann. Nur wenn es schnell geht, wird Bolsonaro Mehrheiten im Parlament gewinnen können, die auch das Risiko in Kauf nehmen, in vier Jahren abgewählt zu werden. Denn eines ist klar: Populär werden die Reformen nicht sein. So wie Brasilien heute unter den Fehlern leidet, die in der Vergangenheit begangen wurden, wird es eine Zeit brauchen, bis die Reformen Früchte tragen.
Ich bin trotz allem zuversichtlich. Wenn einer das Steuer herumreissen kann, dann Bolsonaro. Er ist nicht so verrückt, wie er dargestellt wird. Vieles ist ähnlich wie in den USA, einiges aber auch anders. Donald Trump ist die ultimative Verkörperung des amerikanischen Selfmademans: Milliardär, Individualist, Verhandler und Unternehmer mit einem genuinen Misstrauen gegenüber dem Staat. Bolsonaro ist ein Militär, der im Staat gross wurde; er ist sich gewohnt, klare Ziele zu setzen, doch die Ausführung delegiert er an Vertrauensleute. Was die beiden Alphatiere neben ihrer liberal-konservativen Grundhaltung gemeinsam haben: Sie pfeifen auf den politisch korrekten Diskurs, reden gelegentlich schneller, als sie denken, wollen nicht stets allen gefallen.
Genau diese vermeintliche Schwäche hat sich als ihre grösste Stärke erwiesen. So wie viele US-Amerikaner haben die meisten Brasilianer die Nase voll von grandiosen Theorien, die grandios an der Realität zerschellen. Sie spüren, dass etwas grundlegend falsch läuft, und wollen Taten sehen. Es interessiert sie nicht, was der Rest der Welt von ihnen denkt, sie wollen die Probleme im eigenen Haus gelöst haben.
Bolsonaro ist viel pragmatischer, als viele meinen. Ein Beispiel dafür liefert der Uno-Migrationspakt: Er lehnt diesen zwar grundsätzlich ab, hat aber zugleich angekündigt, dass er an der grosszügigen Aufnahme von Wirtschaftsflüchtlingen aus dem benachbarten Venezuela nichts ändern will. Ein anderes Beispiel sind Tausende von kubanischen Ärzten, die vom sozialistischen Regime nach Brasilien geholt wurden. Bolsonaro will sie nicht aus dem Land werfen – aber er wird ihren Lohn nicht mehr nach Havanna überweisen, sondern direkt auf deren Lohnkonto.
Brasilien steht mit seinem Kurs in der westlichen Hemisphäre keineswegs alleine da. Letztlich ist es derselbe Konflikt, der in Europa von Ungarn über Italien bis Grossbritannien für rote Köpfe sorgt. So paradox es klingen mag: Indem sich das Land auf sich selber besinnt, auf seine eigenen Werte und Interessen, könnte Brasilien wieder eine positive, führende Rolle in Lateinamerika übernehmen.